Während meiner Zeit als Freiwillige in Pretoria habe ich im Projekt “Lerato House” gearbeitet. Hierbei handelt es sich um ein Mädchenwohnheim, das Mädchen, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr bei ihren Erziehungsberechtigten wohnen können, ein neues Zuhause bietet. Im Projekt wird den Mädchen dabei geholfen, ihre oft von (sexualisierter) Gewalt oder Armut geprägte Vergangenheit zu verarbeiten, und es werden die Weichen für eine selbstbestimmte Zukunft gestellt (mehr Informationen zum Projekt gibt es hier). Da im Lerato House für die Freiwilligenarbeit die Devise “Deine Arbeit im Projekt ist, was du daraus machst” gilt, hatte ich die Möglichkeit, viele eigene Ideen einzubringen und neue Projekte umzusetzen. So startete ich Anfang März eine Reihe von Workshops zum Thema “Girls Empowerment”. Darunter kann man sich lockere Gespräche und kreative oder spielerische Interaktion zu verschiedenen Themen vorstellen. Im Allgemeinen geht es darum, bei den Mädchen Aufmerksamkeit für die Themen Sexismus, Rassismus und soziale Ungleichheit im Alltag zu erregen und dahingehend einen Denkprozess anzustoßen. Alle zwei Wochen wollte ich zu diesem Zweck samstags mit den Mädchen zusammenkommen und über unterschiedliche Unterpunkte dieser Themen sprechen. Bei der Themenwahl waren auch die Mädchen selbst gefragt, da sich die Workshops natürlich nach ihren eigenen Interessen richten sollten.

Da ich auf diesem Themengebiet keine ausgebildete Expertin bin, war es für mich zunächst eine Überwindung, dieses Projekt zu beginnen. Ich war mir nicht sicher, wie die Idee bei den Mädchen ankommen und ob ich den richtigen Ton treffen und ihr Interesse würde wecken können. Natürlich fand ich es toll, eine Idee für ein neues Projekt zu haben und von dieser Idee war ich selbst auch sehr überzeugt. Aber mir war auch klar, dass ich noch nie etwas derartiges umgesetzt habe und dass gerade die Vermittlung so sensibler Themen eigentlich zumindest Ansätze einer pädagogischen Ausbildung voraussetzt, die ich nicht bieten konnte. Trotzdem hatte ich als Freiwillige, die kaum älter war als die Mädchen selbst, die Möglichkeit, ihnen das Wissen zu vermitteln, das mir aus meiner mitteleuropäischen Prägung heraus als wichtig erschien. Da taucht natürlich auch ein Konflikt in Bezug auf postkoloniale Verhaltensweisen auf: Welches Wissen vermittle ich, zu welchem Zweck und, vor allem: mit welcher Berechtigung? Mit diesem Konflikt umzugehen war nicht ganz einfach. Darum war es mir auch besonders wichtig, dass die Workshops als lockere Gespräche auf einer vertrauten Basis wahrgenommen würden und nicht als steifer Frontalunterricht, bei dem ich meine subjektiven “Wahrheiten” vermitteln würde. Was mir außerdem bei der Vorbereitung und Durchführung der Workshops half, war der Austausch mit meiner Mitfreiwilligen Lynn, die das hat, was mir fehlt: Eine Ausbildung im pädagogischen Bereich. Sie war immer bereit dazu, mit mir Ideen zu sammeln und gemeinsam entsprechende Herangehensweisen zu entwickeln.

Zum Glück wurden mir meine Bedenken schon gleich beim ersten Versuch genommen. Es ging um die Darstellung von Frauen in den Medien und der Öffentlichkeit, die wir anhand verschiedener Musikvideos diskutierten. Ich kann sagen: Die Mädels legten richtig los! Wir kamen an diesem Samstagnachmittag zu einer Menge neuer Erkenntnisse und es kamen spannende Diskussionen dazu auf, wie man diese Mediendarstellung in Zukunft verändern könnte. Ich war mit meinem neuen Projekt sehr zufrieden und freute mich, dass auch die Mädchen es so gut aufnahmen und mitgestalteten. Allerdings kam es nur zu insgesamt zwei solcher Workshops, bevor die Corona-Krise meine Freiwilligenarbeit vor Ort frühzeitig beendete. Als sich der erste Trubel um die Rückreise und das Ankommen in Deutschland gelegt hatte und ich zusammen mit den Friends überlegte, wie ich meine Freiwilligenarbeit von zu Hause aus fortsetzen könnte, kam uns eine Idee: Ich könnte weiterhin alle zwei Wochen per Videochat mit den Mädchen im Lerato House Kontakt aufnehmen und die Workshops so mit ihnen weiterführen. Diese Idee traf auch bei den Ansprechpartnerinnen von TLF in Südafrika auf großen Zuspruch und so wurden technische Schwierigkeiten schnell überwunden und wir fanden einen Weg, das Projekt am Leben zu erhalten. Für mich ist es schön, dass ich so die Möglichkeit habe, die Mädchen alle zwei Wochen zu sehen und mich mit ihnen neben den Workshops auch über ihren Alltag und ihre Probleme austauschen kann. Vor allem beim ersten Wiedersehen war die Freude natürlich groß. Aber auch der Austausch zu den vorbereiteten Themen läuft weiterhin so gut wie schon in Südafrika. Ich habe das Gefühl, dass vor allem diese Themen, nämlich Feminismus, Antirassismus und das Einsetzen für soziale Gerechtigkeit, den Mädchen genauso am Herzen liegen wie mir. Zu sehen, wie viel sie dazu zu sagen haben und wie entschlossen sie darüber sprechen, macht Hoffnung für die Zukunft.