“Kimana setzt sich für benachteiligte Mädchen ein” lautete die von einem lokalen Wochenblatt selbst gewählte Überschrift für einen Artikel über meine Arbeit als Freiwillige, den ich während meiner Zeit in Südafrika zum Spenden-Sammeln geschrieben hatte. “Wieso nicht gleich ´Kimana rettet die Welt´?”, witzelte ich noch mit meinen Eltern am Telefon. Aber wirklich lustig ist diese weit verbreitete Sicht auf internationale Freiwilligenarbeit ganz und gar nicht. Auch nach meiner Rückreise nach Deutschland werde ich nicht nur oft mit überzogenen oder schlicht falschen Vorurteilen über Südafrika, sondern auch über meine Rolle als Freiwillige konfrontiert. Aber worauf beruht dieses Bild des*der sich aufopfernde*n Freiwilligen und wie sieht internationale Freiwilligenarbeit wirklich aus?
Wer nach den Wurzeln der Darstellung sucht, die ich beschrieben habe, stößt schnell auf den Begriff “White Saviorism”, zu deutsch “weißer Retterkomplex”. Dieser beschreibt die Idee, als weißer Mensch im Ausland nicht-weißen Menschen zu “helfen”, d.h. ihre Lebensumstände denen im globalen Norden anzunähern und sie somit mutmaßlich zu verbessern. Das ist ein Ansatz, den es nicht erst seit gestern gibt, sondern der direkt auf den Kolonialismus und durch ihn entstandene (globale) Machtverhältnisse zurückzuführen ist. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, also der Blütezeit des Kolonialismus und Imperialismus, wurde der Begriff des sogenannten “Sendungsbewusstseins” geprägt. Damit war gemeint, dass europäische Kolonialisten, Siedler und Missionare in den Kolonien ihre eigene Religion und Kultur sowie ihr eigenes politisches und wirtschaftliches System einrichten sollten, um der einheimischen Bevölkerung bei der “Entwicklung” behilflich zu sein. Ausbeutung und Mord in den Kolonien und die Zerstörung einer Vielfalt an Kulturen, Religionen, bestehenden Wirtschafts- und Handelssystemen, etc. wurde so mit dem Vorwand der christlichen Nächstenliebe gerechtfertigt. Das klingt erst einmal nicht nur sehr brutal, sondern auch sehr paradox.
Die Idee, dass Länder des globalen Südens “unterentwickelt” seien und Hilfe dabei benötigten, genau so zu werden wie Länder des globalen Nordens, existiert seitdem fort und findet ihren gegenwärtigen Niederschlag in dem politischen Konzept der Entwicklungshilfe. “White saviorism” ist der abgeschwächter Nachfolger dieser Denkweise, und ist heute noch stark in den Köpfen vieler Europäer*innen und Nordamerikaner*innen verankert. Beide Vorstellungen suggerieren dieselbe Überlegenheit der “weißen” Kultur und erkennen weder die Diversität an anderen Kulturen als Bereicherung an, noch reflektieren sie die eigene Schuld an Armut und Chancenungleichheit im globalen Kontext. Vor diesem Hintergrund wird oft auch Freiwilligenarbeit im globalen Süden kritisch hinterfragt: Mit welchem Recht reise ich nach Südafrika und arbeite dort in einer Position, für die ich gar nicht ausgebildet bin? Geht es nur um ein gutes Gewissen oder die eigene Außendarstellung als guter Mensch? Und wie viel Schaden wird vielleicht durch einen verhältnismäßig kurzen Freiwilligendienst angerichtet? Ich finde diese Fragen legitim und sehr wichtig. Sie demonstrieren, dass es hier viel zu beachten gibt und ich habe den persönlichen Eindruck, dass es sehr auf die unterschiedlichen Organisationen und deren Handlungsweisen ankommt, wie sie beantwortet werden müssen.
Obwohl es hier wie in vielen anderen Bereichen kein Schwarz und Weiß, sondern sehr viele Grautöne gibt, hatte ich während meines Freiwilligendienstes bei den Friends und bei TLF insgesamt nicht das Gefühl, dem besagten “White Saviorism” zufolge zu handeln. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zunächst einmal wurde schon vor unserer Ausreise ausgiebig thematisiert, was wir uns unter einem Freiwilligendienst vorstellen können und was eigentlich das Ziel unseres Aufenthaltes in Pretoria ist. Denn die scheinbar immer noch weit verbreitete Annahme, dass man als dafür unausgebildete*r Freiwillige*r für den Zeitraum von zwölf Monaten in einem Land arbeitet, in dem man sich nicht auskennt und damit den versierten, ausgebildeten Projektleiter*innen vor Ort eine wegweisende Hilfe ist, scheint doch recht vermessen. Meiner Erfahrung zufolge kann ich sagen, dass der Aufgabenbereich der internationalen Freiwilligen bei TLF dieser Idee auch nicht entspricht. Als internationale Freiwillige hatte ich die Position einer willkommenen, aber optionalen Ergänzung im Team der fest angestellten Mitarbeiter*innen. Vor allem in den ersten Wochen und Monaten hatte ich keine festen Aufgaben, sondern es ging darum, die Arbeitsstrukturen und Alltagsabläufe zu beobachten und zu verstehen. Die Integration in den Arbeitsalltag geschah dann Stück für Stück, indem ich mir meine eigenen Aufgaben suchte, nach und nach bestimmte Verantwortungen übernahm und eigene Projekte beginnen durfte. So wurde mir also nicht von Anfang an aufgrund meiner Hautfarbe oder Herkunft eine leitende Position zugedacht, die für die erfolgreiche Arbeit der Organisation essentiell wäre. Die Hauptverantwortung lag ganz klar bei erfahrenen Kräften, von denen ich während meines Aufenthaltes lernen durfte.
Nicht zu vernachlässigen ist an dieser Stelle das Privileg, dass es mir aufgrund meiner Herkunft überhaupt möglich ist, diese Erfahrung zu machen. Obwohl es auch einen Süd-Nord Austausch gibt, in dem Menschen aus Ländern des globalen Südens Freiwilligenarbeit im globalen Norden leisten, ist dieses Konzept noch immer weniger ausgebaut und weniger bekannt. Insbesondere da sich im Gegensatz zu Deutschland viele Länder aus dem globalen Süden angesichts anderer, drängender Probleme nicht leisten können, solch ein Programm für ihre Bürger*innen anzubieten.
Wenn man nun aber anerkennt, dass internationale Freiwillige für die Arbeit im Projekt nicht hilfreicher sind als lokale Freiwillige, so stellt sich schnell die Frage, wozu das gesamte Konzept des Freiwilligen Internationalen Jahres überhaupt noch aufrecht erhalten wird. Der meiner Ansicht nach wichtigste Grund dafür ist der kulturelle Austausch, von dem das Projekt und, vor allem, die Freiwilligen profitieren. Ich habe es als große Bereicherung empfunden, neue Kulturen und Lebensverständnisse kennen zu lernen, die mir nun eine Alternative zu dem bieten, was sich mir vorher oft als universale Norm darstellte.
Der einzige Weg, gegen Rassismus, aber auch gegen eventuell unterbewusste, aus dem Kolonialismus entstandene Vorurteile vorzugehen, ist bekanntlich, sich mit Personen aus anderen Ländern und Kulturkreisen auseinanderzusetzen. So ist es wahrscheinlich eine der wichtigsten Aufgaben von Freiwilligen, nach ihrem Auslandsaufenthalt reflektiert von ihren Erfahrungen und Erkenntnissen zu erzählen, um Vorurteile zu beseitigen und zu bewirken, dass das Bild des globalen Nordens als “Weltretter” kritisch hinterfragt wird. Wenn so auch nur ein kleiner Beitrag dazu geleistet werden kann, dass verschiedene Kulturkreise sich einander öffnen und einander als wertvoll und ebenbürtig anerkennen, lohnt es sich meiner Meinung nach, den internationalen Freiwilligendienst zu erhalten und dessen Ziele und Herangehensweisen immer wieder zu hinterfragen und zu überarbeiten.